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Rolf Goergen, 1990 |
Kaum zu glauben,
dreimal vorbei ! |
Kaum zu glauben, dreimal
vorbei!
von Rolf Goergen
An einem Sonntagmorgen suchte ich mit
dem Glas die jenseits der Mosel liegenden
schroffen Steilhänge des Calmont ab. Oft
schon hatte ich in dieser Felsenregion zu
allen Tageszeiten Rehwild gesehen. Zügig
schwenkte die Optik jede Fläche, jede
Rinne entlang, nur dort länger
verweilend, wo ich im Laufe der Jahre das
meiste Wild gesehen und erlegt hatte. Und
siehe da: Im Laierring, eine teilweise
mit Brombeeren bedeckte Steinhalde, die
aussieht wie ein auf die Spitze
gestelltes Dreieck, erspähte ich zwei
Stücke Rehwild.
Oho, da gabs kein Überlegen und
Zaudern mehr: rein ins Auto und in
Richtung Moselbrücke gebraust, die etwa
drei Kilometer flußaufwärts die beiden
Ufer verbindet.
Steile Mosellage
Zunächst stieg ich über die relativ
gut begehbaren Winzerpfädchen zügig
bergan. Weiter oben, wo die
Bebauungsflächen zu Ende sind, wurde es
dann kriminell, stellenweise hüfthohe
Brombeeren und Dornen erschwerten das
Weiterkommen erheblich. Eine kleine
Erleichterung bescherten mir die leidlich
freigetretenen Rehwechsel und ein
ausgemusterter Weinbergpfahl, mit dem ich
mich nach Art der Bergjäger abstützen
konnte. So kämpfte ich mich über
lockeres Gestein und widerspenstige
Dornen höher und höher. Mein Ziel, ein
mit Gras- und Moospolstern bewachsener
Felsenkopf, war schließlich erreicht. Im
Gegenhang müßte nun, wenn ich den Kopf
über die Kuppe heben würde, das Rehwild
in einer Entfernung von etwa 70 bis 80
Metern vor mir stehen, wenn es inzwischen
nicht weitergezogen war. Sekunden später
stellte ich jedoch erleichtert fest:
Ricke und Rikkenkitz standen noch
unverändert an gleicher Stelle in den
Brombeeren.
Bis hierhin klappte alles wie am
Schnürchen.
Der Drilling lag ruhig auf meiner
Jacke, die ich zwecks besserer Auflage in
eine Felsenvertiefung gelegt hatte.
Bewegungslos stand das Absehen auf der
Kammer, Schuß und vorbei. Nanu, das war
mir hier in 20 Jahren nicht passiert...
Ruhig Blut, nur nicht zappelig werden!
Noch ein wenig verschnaufen, mit ruhigen
Bewegungen die nächste Patrone in den
Lauf schieben, konzentriertes Visieren,
abermals Donnergrollen durch das Moseltal
und wieder vorbeigefunkt.
Verdammt,
jetzt wußte ich es genau: Die Waffe
konnte niemals in Ordnung sein. Aber
trotzdem bugsierte ich, als der Lauf
abgekühlt war, die dritte und Gott sei
Dank! letzte Patrone hinein und setzte
das neun Gramm schwere Teilmantelgeschoß
ebenfalls hoch über das Reh ins Gestein,
ohne das Wild zu erschrecken. Völlig
vertraut standen beide Stücke drüben
und äugten ins Moseltal hinunter; es sah
fast so aus, als ob sie dem regen
Autoverkehr auf der B 49 zuschauen
würden.
Der Zahn der Zeit nagt
Am liebsten wäre ich in einen
Felsenspalt gekrochen. Gleich dreimal
vorbeigedonnert, nein, das durfte nicht
wahr sein! Doch da gabs kein
Entkommen, es war die Realität!
Vorsichtig zog ich den Kopf hinter die
Deckung zurück, hängte die Jacke über,
warf enttäuscht den Drilling auf den
Rücken und da passierte es: Das
sechsfache Zielglas fiel neben meinem
linken Fuß ins Kraut. Am hinteren Haken
hing, das sah ich sofort, der Montagefuß
der Suhler Einhakmontage. Aha,
daswars also! Im Laufe der Jahre,
so stellte ich später fest, hatte sich
das Lötzinn durch allmähliche
Oleinsickerung zersetzt und letztlich zur
Ablösung des Sockels geführt. (Nach
dieser Erfahrung rate ich zu sparsamem
Olgebrauch an der Waffenoberfläche.)
Die Turmuhr schlug just zu Mittag, als
ich mit dem lädierten Drilling vor der
Haustür stand. Kein Mensch hätte mich
jetzt aufhalten können: Der Dreilauf
wurde in den Ständer verfrachtet und die
danebenstehende Büchse gepackt, zurück
zum Auto gehastet und nach kurzer Fahrt
erneuter schweißtreibender Aufstieg in
den Calmont.
Oben angelangt, sah ich zunächst nur
das Kitz. Im Knall überschlug es sich
mehrmals und blieb schließlich hinter
der einzigen, kugeligen Eiche hängen.
Frohlocken in meinem Inneren: Die Ehre
des Tages war gerettet "Reh
tot" "Halali". Aber es kam
noch besser!
Durch die Absturzgeräusche wurde die
Ricke hoch, die für mich unsichtbar in
den üppig wuchernden Brombeeren saß.
Vom Blatt sah ich nur eine
bierdeckelgroße Stelle; das würde
genügen. Nach kurzer, stürmischer
Todesflucht tauchte sie verendet in die
Brombeeren. "Na also", entfuhr
es mir erleichtert; "alles
paletti" würde mein Schwager Willi
jetzt sagen; Die anschließende Bergung
der beiden Stücke forderte mir die
letzten Reserven ab. Heiliger Hubertus,
da bin ich noch mal glimpflich
davongekommen...
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