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Alois Frölich,
1926 |
Hochwasser in Bremm |
Hochwasser in Bremm
von Alois Frölich
Der Winter war mit seiner ganzen
Strenge zu uns gekommen. Nach leichtem
Schneefall trat eine harte Kälte ein,
die alles erstarren ließ. Doch nur kurz,
wie bei allen strengen Herrn, waren die
Tage ihrer Herrschaft. Dann setzte
Schneegewirbel ein, unaufhörlich hielt
Tag und Nacht der Flockentanz an. Immer
dicker wurde das Leichentuch der Natur,
fast vergrub die Schneedecke die
Hunsrück- und Eifeldörfchen. Da brachte
ein milder Südwest Tauwetter, begleitet
von einem fein rieselnden Regen.
Der Wind wächst, der Regen wird
dichter, dann gießt er in Strömen, von
mächtigen Böen gejagt. Der Schnee
schmilzt und verwandelt sich in einen
schmutzigweißen Brei. Der noch harte
Erdboden nimmt das Naß nicht auf. Alles
Wasser, der Regen vermischt mit dem halb
geschmolzenen Schnee, fließt in
Rinnsalen zum Dorfbach, ins nahe
Wiesental, jede Ackerfurche wird zu einem
Bächlein, zum starkströmenden
Flüßchen.
Kandel- und Gailbach, die im Sommer
leise plätschernd, murmelnd und raunend
die Wiesen wässerten, sind zu reißenden
Ungetümen angeschwollen; laut rauschend
und polternd wälzen sie ihre schmutzigen
Wellen zur Mosel. Auch der durch das
Dorfende fließende Kirchbach fehlt nicht
in dem Höllenkonzert. Aus allen
Kaulen und Senken
des Kalmonds stürzen tosende Wasser zur
Mosel.
Und die Mosel? Ihr enges Bett kann
unmöglich die urgewaltig zu ihr
strömenden Wassermassen fassen. Das
matte Grün des sonst so ruhigen Stromes
färbt sich schmutzig wie die zu ihr
stürzenden Kinder der Eifel und des
Hunsrücks. Schnell füllt sich das Bett.
Sturzregen und Sturm halten an.
Voller Sorge sieht man die Gesichter
der Leute des Ewern- und
Unnerstods (Gestade). Bald wird das
Wasser in ihre Keller dringen. Da heißt
es, schnell handeln. Alles, was im Keller
umhertreiben und dadurch gefährlich
werden kann, wird hinausgebracht, wie
leere Fässer und Bütten, Kisten und
Kasten. Die Kartoffeln müssen aufgerafft
und in hochwasserfreies Gebiet geschafft
werden. Die vollen Fässer stützt man,
indem Pfähle zwischen das Gewölbe und
das Faß getrieben werden. oder man zieht
Ketten über die Fässer und befestigt
sie durch einen Ring am Boden. Die Spunde
der mit altem Wein gefüllten Fässer
werden fest zugeschlagen, während über
die Spundlöcher der den
Neuen enthaltenden
Sandsäckchen genagelt werden, die die
Gärgase wohl herauslassen, aber das
Eindringen des Moselwassers in das Faß
verhüten. Fieberhaft arbeiten die
Männer, oft auch die Frauen, in dem
mittlerweile eingedrungenen Wasser
watend, ja häufig bis an die Hüften im
Wasser stehend. Glühwein und
Schwitzbäder sollen nachher den dadurch
entstehenden Erkältungen wehren.
Alle Häuser am Gestade sind auf ein
mehr oder weniger hohes Untergeschoß
aufgebaut; viele Stufen führen zu den
eigentlichen Wohnungen. Doch auch dahin
dringen die Wasser. Wolkenbrüche und
Schneeschmelze in den Vogesen machen die
Mosel zum Ungeheuer. Das ganze Gestade
ist hoch überflutet. Da ertönt die
Gemeindeglocke: An der Linde auf einem
freien, höher gelegenen Platze mitten im
Ort steht das Ortsoberhaupt, der
Gemeindevorsteher, und macht bekannt:
Pegelstand Metz 6,50 m, Trier 6,30
m, stark steigend. Bestürzt eilt
alles hinweg. Die Ställe werden
geräumt. Das Vieh wird zur
Kühgasse und zur
Kehr gebracht, der Hausrat
ein Stockwerk höher geschafft. Dabei
helfen die Kühgasser und die
von der Kehr eifrig ihren
bedrängten Verwandten, Bekannten und
Freunden am Gestade. Laufstege werden
gelegt. Hoch hinauf dringt das nasse
Element in die Gäßchen und
Schleffchen. Nachen fahren
über die Wasserstraßen mit
Viehfutter und Hausrat. Schon steht die
Mosel in den Wohnungen, sie mit
schmutzigem Wasser füllend.
Grünchen, Wiese
und Acker, die ganze an der
Mosel nach Neef sich hinstreckende Flur
ist eine einzige Wasserfläche.
Gartenzäune und Mauern sind
untergetaucht. Wie um Hilfe flehend und
zitternd recken die Apfel-, Kirsch- und
Birnbäume ihre Astspitzen und Wipfel
gegen Himmel. Nur die mächtigen Kronen
der Nußbäume erheben sich majestätisch
über dem Wasserschwall.
Mit rasender Schnelligkeit schießen
die Wogen zu Tal. Sie führen mit sich,
was sie in ihrer Gier erhaschen können:
Bäume, Baumstämme, Rebenbündel,
Weidenstücke, Bretter, Misthaufen,
Fässer und viele andere Sachen, die
nicht mehr in Sicherheit gebracht werden
konnten.
Wo ist sie geblieben, die Lieblichkeit
der Mosel? Wo ist ihre vielbesungene
Romantik? Ein rasendes Untier ist sie
geworden! Wie das am Kalmond, der den
Fluß halbkreisförmig umgibt, tost und
rauscht! Ja, rase nur, du Ungeheuer; hier
bricht deine Wut zur Ohnmacht! An der
starken Felsnase, der
Naßlay, probierst du umsonst
deine Kraft. Hoch spritzt die Gischt,
doch die festen Felsen trotzen der
Brandung. Aber in den unteren Weinbergen
des Kalmonds und des Sternbergs spülen
die Fluten und reißen den Schiefer,
Weinbergspfähle und Weinstöcke mit.
Ein Schreckensschrei geht durch den
Ort. Das alleinstehende Haus der
Ostermann Gritt ist in
Gefahr. Leise zittert und bebt es wie in
Todesnot. Da naht Hilfe. Mutige Männer
rudern hin und retten die Hausgenossen
samt der notwendigsten Habe.
Und die Jugend? Sie weiß noch nichts
von Not und Sorgen. Sie freut sich, daß
das Schulhaus vom Wasser umtost wird,
daß sie deshalb nicht zur Schule
braucht. Den Jungen bedeutet das
Hochwasser ein freudiges Erleben. Sie
schieben zwei Heuwagenleitern ins Wasser,
binden sie aneinander fest, legen Bretter
darüber, und das Floß ist fertig. Mit
Bohnenstangen und Weinbergspfählen als
Fahrstangen ausgerüstet, fahren sie
durch die Dorfgassen. Andere nehmen sich
Bütten und schwimmen darin im Wasser
umher. Doch hinaus aus den Gassen dürfen
sie sich nicht wagen. Die Strömung
würde sie unweigerlich mitreißen, dem
sicheren Untergang entgegen.
Aber der immer wieder aufsteigende
Sturm läßt zu solcher Kurzweil wenig
Zeit. Er peitscht die Hochflut, daß
Wellen mit weißen Schaumkämmen
aufspringen, sich überstürzend, eine
die andere verschlingend. Gierig lecken
sie an den Mauern der Häuser,
plätschern in den Stuben und Zimmern,
glucksen unter Gewölben und Terrassen.
Wie die wilde Jagd eilen die Wolken
droben am Himmel, Wildenten und
Sturmmöwen, die seltenen Gäste unseres
Tales, fliegen aufgeregt talauf und
ab. Die flinken
Duckentchen tauchen an
stillen, windgeschützten Stellen.
Von jedem Verkehr mit der Außenwelt
ist Bremm abgeschnitten. Kein Arzt kann
hinein, keine Apotheke kann erreicht
werden. Nur in der äußersten Not nimmt
der steile Abhänge gewohnte Bremmer
seinen Weg durch den Hang des Kalmonds,
über Mäuerchen und Weinbergterrassen,
über Felsstürze und nasen, Grate
und Zacken, hier einen Felsen
übersteigend, dort sich durch
Steingewirr hindurch windend ein
Fehltritt, und er stürzt ins nasse Grab.
Nach einigen Tagen hat die Flut sich
verlaufen. Dann sind Wohnungen und
Straßen dick voll Schlamm. Die
Säuberung macht viel Arbeit. Die
Fußböden der Häuser haben sich
gehoben, muffig, dumpf und feucht sind
die Behausungen noch lange Zeit. Da muß
fleißig geputzt und geheizt werden.
damit alles wieder in etwa wohnlich wird.
Auch die Keller sind mittlerweile frei
geworden. Klopfenden Herzens geht der
Winzer hinein. Ist alles noch in
Ordnung, oder ist der Preis meiner
Jahresmühe vernichtet? so fragt er
sich bange. Wie leicht kann sich eine
Stütze lösen, das Faß umhertreiben und
auslaufen lassen und andere Stützen
losschlagen! Die Gärten sind versumpft,
die Zäune sind umgeworfen oder stecken
voll Unrat, Gezweig und Schilf. Von den
der Drift ausgesetzten Feldern ist der
Mutterboden weggeschwemmt, sie sind mit
Schotter bedeckt.
Es bedarf eines guten und heißen
Sommers und der ganzen aufopfernden
Arbeit eines Moselaners, ehe die Schäden
des Hochwassers verschwunden sind. Oben
an einem Hause der Moselstraße aber
sieht man ein langrundes, weißes Schild
mit einem schwarzen Strich und der
Bezeichnung: Hochwasserstand 31.12.1925
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