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Ludwig
Mathar, 1924 |
Die
Mosel |
Die Mosel
von Ludwig Mathar, 1924
Seiten 385 bis 388
Leise gleitet der Nachen über die
Bremmer Waage , wo oft so
gefährlich die Stürme rasten, wo ehedem
nur ein Saumpfad an steilen Hängen
vorüberleitete, zu dem freundlichen, im
Halbkreise gestreckten Bremm hinüber.
Auch dieses Dorfbild, abseits der Bahn
liegend, ist noch fast unberührt.
Hier haben schon im 12. Jahrhundert
die Abteien Brauweiler (durch Richenza),
Himmerode und Springiersbach, das
neugegründete Kloster Stuben und das
Trierer St. Simeonsstift (1097)
Besitzungen. Denn Kühler Wein
macht gut Latein. Auch die
Ritterschaft, die von Ulmen, die von
Isenburg, die Scharfeneck und Homburg,
die von Pyrmont und Ehrenberg, sind hier
Lehensträger des Erzstiftes. Kocht dort
drunten an der Waag, dem
Fegefeuer der Schiffahrt, in den
Schieferkaulen, in ewiger Morgensonne ja
auch der edle Wein von Calmond, dem
Calidus Mons (381 m). Auf dessen
mächtigem Wipfel hatten die Römer ihre
Signalstation, die mit Neuwied und dem
Kondelwalde und dadurch mit Limes und
Trier in Verbindung stand, wo vielleicht
schon zu des Ausonius und Fortunatus
Zeiten die Rebe heimisch ward, wo
Pfalzgraf Ehrenfried 1025, die Grafen von
Arnstein, die Klöster Stuben und
Springiersbach Weinberge hatten, wo
Erzbischof Boemund I. 1356, und Salentin,
Herr von Isenburg, 1370 edle Reben
pflanzten.
Dieses Winzerdörfchen (1850: 55,2 ha
der 2. bis 8. Klasse) hat seine alten
freundlichen Häuschen durch die
Jahrhunderte bewahrt. Da leuchten die
getünchten Giebel der kleinen Leute vor
blühenden Blumen im Lichte. De weisen
die benachbarten Häuser von 1624, 1626,
1630 ihren spätgotischen Rundbogenfries,
ihre feingekreuzten Türprofile, ihre
barocken Steinfassungen, eine eigenartige
Mischung der Stile.
Zwar das alte gemütliche Gasthaus vom
Vater Amlinger ist nicht mehr, die
Krämerei, wo die Eifeler gern
einkauften. Da kehrten fahrtmüde die
Halfen ein. Da rastete die Post, die vom
Cochemer Berge kam und über Alf nach
Wittlich ging. Eine behagliche Herberge,
wo das köstlichste Abendessen, Kapaun,
Kartoffeln und Salat, dazu das frischeste
Frühstück einen ganzen baren Taler
kostete, wo lustige Maler auf dem von
Glyzinien umsponnenen Altan den edlen
Wein vom Calmond, vom Frauenberge
schlürften und, wenn der Vorsteher die
Glocke gezogen, der unter ihnen tagenden
Gemeinde lauschten. Noch immer aber sitzt
es sich kühl und gut auf dem Altan, um
auf den stillen Fluß, die grünen Matten
der Nikolausinsel, die graue Ruine
Stubens, die Weingärtchen des
Petersberges hinüberzuschauen, wenn
abendliches Dämmer webt, wenn feuriges
Rebenblut im Glase glüht. Das ist auch
heute noch ein unvergeßlicher Genuß.
Da hebt der Hausherr an, von der
Weiberfastnacht zu erzählen.
Fastnachtsdienstags, ja da sammelten
sie sich hinter ihren Musikanten, die
Weiber. Der Jude Aaron, der
Unglücksrabe, der Linksbeiner, der
Tanzlehrer und Gemeindehäusler, gab mit
seiner Fiedel den Ton an. Eine wehrhafte
Huldin schwenkte die Fahne, hinter der
sich alle diejenigen scharten, die
glücklich oder unglücklich unter der
Haube waren. Freizeit hatten sie ja
heute, Freitrunk, ein Ohmfaß besten
Weines, vom alten Junggesellen gestiftet.
Zur Weiberfastnacht konnten einmal die
Männer Feuer anmachen, Kinder versorgen,
Essen richten. So ging vom Rathaus der
lärmende Zug durchs Dorf. Wo eine junge
Frau war, die im besagten Jahr
geheiratet, da ward der Kreis gebildet,
mit dem Hausschlüssel ihr auf den Kopf
geklopft, der Strauß geschenkt. So war
sie aufgenommen, die Junge, in den Kreis
der Leidens-, der Zechgenossinnen. Dann
ging es mit spielender Musik, mit
schwenkender Fahne, gefüllten
Zinnkannen, blinkenden Gläsern in den
Rats- und Schulsaal zur ausgelassenen
Feier. Bis in den Spätnachmittag währte
das mannhafte Trinken. Kein
männliches Wesen, kein Hosenbein durfte
sich sehen lassen! Wer s wagte, dem
wurde der Knopf
abgeschnitten.
Diese Alte Schule, in deren oberm Saal
alljährlich solch schier Unglaubliches
geschah, hob einstens ihren mächtigen
Treppengiebel, in Nußbäumen halb
versteckt, hart am Saumpfad empor. Nun
protzt sie, verunstaltet, ihres Giebels
entkleidet, wie ein täppischer Koloß
mitten in die um 1850 gebaute
Moselstraße. Bescheiden steht das alte
Storchenhaus (1695) in des Aufdringlings
Schatten. Und doch ist es eines der
schönsten Fachwerkhäuser weit und
breit. Auf doppelstöckigem
Steingeschosse ruht, schwer profiliert,
der Stuhlbalken. Darüber zieht das
braune unbemalte Balkenwerk seine gotisch
geraden, seine barock geschwungenen
wechselnden Muster, Namen und
Hauszeichen, W. G. und M. T., die
Anfangsbuchstaben der Namen der Erbauer
und Eheleute, der hochgeschnitzte
stelzende Storch mit sich krümmender
Schlange, prangen im Rautenmuster.
Reicher noch ist die vom Schulhaus
unverdeckte Gassenseite. Da kragt, von
schöngekerbten Eckpfosten umrahmt, von
phantastischen Fratzen gestützt,
erkerartig das Dreifensterchen vor, von
fein gewelltem, reich gefaßtem
Dachgiebelchen höchst malerisch
bekrönt. Von Monreal stammt das 1671
gebaute, leider etwas verwahrloste Haus,
das allen Neubauten Muster und Anregung
sein könnte. Auch die Gassen, die sich
so eigenwillig eng und schattig zum
Kirchhofe schlängeln, sind Dichters und
Malers Freude.
Die Kirche, wieder so charakteristisch
überm Dorf frei und hoch gelegen, war
eine der schönsten des Moseltales.
Romanischer, von Triforien und
Zackenfries in drei Stockwerken reich
gegliederter, weithin leuchtender Turm;
spätgotisches edelgeformtes Langhaus,
fünfseitiger Chor. Ihr helles buntes
Schiff, das aus der Einsäule das weit
verästelte Netzgewölbe emporwachsen
ließ, die Galerie der Empore, die auf
neun zierlichen Bögen ruhte, war feine
reiche Kunst des Ediger Meisters, der
auch in Clotten, Bruttig, Ellenz, Briedel
und Fankel seine kühngeschlungenen
Gewölbe spann.
Der Neubau des Jahres 1895 hat zwar
das alte Gewölbe zum Teil übernommen,
aber durch drei Säulen das einheitliche
Strahlende verwischt. In Museen (Sammlung
der Baronin Liebig, Bonner
Provinzialmuseum) sind die kunstvoll
gemeißelten, bunt bemalten,
frühbarocken Altäre, nach der
Ortsüberlieferung Stubener Gut,
gewandert; ein Abendmahl des
Hauptaltares; ein nördlicher
Marienaltar, der um die Krönung der
Gottesmutter das ganze Leben der Jungfrau
vereint; ein etwas unbeholfener
Sebastianus (1631). Manternachschule sind
diese mit steifen Figuren überladenen,
wulstig verschnörkelten, wellig
gesimsten Tuffsteinaltäre,
Spätrenaissance, die dem Frühbarock
ganz nahe steht und an der untern Mosel
(Bullay, Eller, Ernst) verwandte
Beispiele zeigt.
Nur an den geretteten Schlußsteinen
des Schiffes, den prächtigen Konsolen
der Chores kann man sich ungetrübt
freuen. Da ist Laurentius, der Winzer,
der Kirchenpatron, St. Eligius, der
Heilige der Hufschmiede, St. Nikolaus mit
der Bretzel und mancher schöngemeißelte
andere Heilige, Rochus, Petrus,
Katharina. Und diese Gewölbeträger im
Chor erst, diese bärtigen
Charaktergestalten der Apostel und
Kirchenväter! Nie kann man solch ernste,
bis ins kleinste unterschiedenen
Gesichter vergessen. Vier Engel tragen
das Wappen Christi, Geißelsäule,
Dornenkrone, Nägel und Lanze. In der
Höhe des Gewölbes wird die Hand Gottes
mahnend sichtbar.
Wehmut überkommt den Kunstfreund vor
solchen wertvollen Resten des glücklich
Erhaltenen. Sorge um das in so vielen
alten Moselkirchen noch Bestehende.
Gewiß, bäuerlich, stammelnd,
verzerrt ist oft dieser Barock, aber
dennoch nicht ohne Inbrunst und
Innigkeit: Die Drei Kreuze,
das Vesperbild zwischen Rochus und
Sebastianus, St. Michael im Giebelfelde,
der nach der Sage von dem in Stubens
Nonne, die Winneburgerin, verliebten
Ritter gestiftete Kapelle am Dorfausgang.
Nun geht es auf dem alten Pfade hart
am Ufer vorbei, im Angesichte des
Frauenberges, des Petersberges, durch das
fruchtbare Stubener Land,
Aecker, Wiesen, Gärten, strotzend von
Segen und Fülle, das kostbare
Vermächtnis des Nikolausklosters.
Um die Felsenecke des
Vogelsang biegt nun der Weg.
Aldegund grüßt, in Reben lächelnd. Die
Neefer Burg wacht wuchtig drüben am
Fahr. Marienburg, Prinzenkopf und
Waldfrieden, herrliche Ausblicke,
leuchten auf.
Bis zuletzt aber sieht, wenn auch
immer kleiner und ferner, Eulenköpfchen
und Spitze des Peterskirchleins dem
Wanderer nach, der sehnsüchtig,
wehmütig, immer wieder sich wendend,
rückwärts schaut.
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